Bauen und Modernisieren 2018

63 Bauen & Modernisieren 2018 der, die aus dem Bereich Möblierung und Möbelentwurf kommen, bis zum Innenar- chitekten, der strukturell eingreift. Es ist eine Frage der Ausbildung, der Vorliebe, aber auch des Projekts. Ich selbst bin eher im Bereich der Struktur tätig, aber auch wir haben Projekte, die sich auf ein Einrich- tungsprojekt herunterbrechen lassen. Die Innenarchitektur geht tatsächlich vom Kaf- feelöffel bis zum strukturellen Eingriff im Bestand. Schauen wir mal auf private Bauobjek- te. Kommt da eher der Architekt auf Sie zu oder geschieht dies auf Wunsch der Bauherrschaft? Wir erleben beides. Die Bauherrschaft, die etwas von uns gesehen hat, und der viel- leicht unser Umgang mit der Materialität zusagt. Oder der Architekt, der raumspe- zifisch das Potenzial besser ausschöpfen möchte. Inwiefern sollte die Architektur eines Hauses die Innenarchitektur beein- flussen? Im besten Fall ist es eine starke Synergie, ein Miteinander, ist die Innenarchitektur mit der Architektur integrativ und nicht additiv. Additiv würde bedeuten, etwas zu applizieren, das austauschbar ist. Im Ide- alfall sind Innenarchitektur und Architek- tur nicht mehr voneinander zu trennen. Keine Tapete oder kein Farbanstrich, der morgen auch eine andere Farbe sein könn- te, oder ein beliebiges Holztäfer, sondern ein Holztäfer, das mit der Architektur zu- sammenhängt und diese ebenfalls beein- flusst. Dies gibt ein Ganzes, das zur Stim- mung mit beiträgt. Worauf legen Sie in einem Raum wert? Genau auf diese Symbiose zum Ganzen, nicht die reine Oberflächenthematik. Hier sind vielleicht auch die Grenzen vom Ein- richter oder Dekorateur zum klassischen In- nenarchitekten. Eine klare Abrenzung fin- det da statt, wo die Dekoration zum Thema wird, die rein temporäre, modische Deko- ration. Meiner Meinung nach hat Innenar- chitektur nichts mit Mode und Trends zu tun. Natürlich gibt es Tendenzen, aber in der Innenarchitektur gibt es wie auch in der Architektur Strömungen und Baustile. Das bringt mich zur nächsten Frage. Wie entscheiden Sie, was erhaltens- wert ist? Wir pflegen einen denkmalpflegerischen Ansatz, möchten einen Bau als Zeitzeug- nis erhalten, sei es ein Fenster, eine Tür, eine Tapete. Ganz gleich, ob ein Gebäude aus den 1960er-Jahren stammt oder 500-jährig ist. Der respektvolle Umgang mit Material und Form steht im Vorder- grund. Das heisst aber nicht, dass alles er- halten werden muss. Es braucht Freiheit im Denken, es darf und muss auch verändert und weiterentwickelt werden. Man darf das Neue auch spürbar zeigen. Das Schönste ist, wenn es dann gelingt, dass Zeiten und allenfalls auch Nutzungen spürbar bleiben und nebeneinander stehen können. Das ist das Spannende amUmbauen und Renovie- ren. Dabei können durchaus auch qualita- tiv schlechte Materialien erhalten werden, denn sie können, kombiniert mit hochwer- tigen, ein interessantes Wechselspiel erge- ben. Solche Strukturen, die es an jeder Ecke gibt, muss man erkennen, wertschätzen und mutig weiterentwickeln. Und wie sieht es mit der Anwendung neuer Materialien und Techniken aus? Vor allem technische Entwicklungen sind heutzutage sehr wichtig. Am offensichtlichs- ten ist dies im Bereich Licht. Noch vor zehn Jahren hat man aufgrund der Lichtqualität aufgeschrien beim Thema LED . Heute ist die LED -Technik nicht mehr wegzudenken, und zwar wegen der Stromersparnis auf der einen Seite, aber auch wegen der Lichtat- mosphäre. Gerade für den Einsatz im In- nenraum eignet sich LED bestens, weil die Lichtquelle so klein ist, dass man sie über- all integrieren kann. NeueMaterialien kom- men mir aktuell keine in den Sinn. Der Be- reich Textilien ist jedoch wieder stärker geworden, im Wohnbereich und im öffent- lichen Bereich. Vorhänge waren zum Bei- spiel noch vor 20 Jahren total verpönt, heu- te sind sie vielfach Teil der Architektur. Der Vorhang ist integriert und trägt wesentlich zur Stimmung bei. Auch Teppiche haben wieder an Bedeutung gewonnen, nicht der Spannteppich, sondern partiell eingesetzte Teppiche, die auf klaren, harten Materiali- en wie Holz-, Stein-, Beton- oder Hartbe- tonböden zu liegen kommen. Es gibt ein- deutig ein Bedürfnis nach Weichheit. Materialien prägen natürlich auch stark die Raumatmosphäre. Was trägt noch zur Atmosphäre in einem Raum bei? Es ist das Zusammenspiel von Licht, Ma- terial und Farbigkeit. Dazu gehört noch die vierte Dimension, die Zeit. Oder anders ge- sagt: das Zusammenspiel von allen Sinnen: Riechen, Schmecken, Fühlen und Sehen. Wenn diese Komponenten bewusst zuein- ander komponiert oder dirigiert werden, dann entsteht Atmosphäre. Der Innenar- chitekt ist eigentlich ein Komponist oder ein Dirigent, der verschiedene Instrumen- te zueinander dirigiert. Man kann steuern, ob die Innenarchitektur spürbar oder eher im Hintergrund, laut oder leise sein soll. Und im Zentrum von allem steht immer der Mensch, der Benutzer mit seinen Be- dürfnissen und Wünschen. Interview: Britta Limper « Im Idealfall sind Architektur und Innenarchitektur nicht mehr voneinander zu trennen. » gasser, derungs bezeichnen den Umgang mit bestehenden Strukturen und die Integ- ration und Anpassung an heutige Bedürfnisse als ihre Spezialität und Passion. Stell- vertretend für ihr breit gefächertes Werk stehen die Zentralbibliothek Zürich und der Umbau eines Stalls zu einemWohnhaus im Stall in Scharans. Der Bestand des Stalls wurde kompromisslos respektiert, während innen eine neue Raumdefinition geschaffen wurde. In der Zentralbibliothek wurde mit klaren Linien, ge- deckten Farben und einer textilen Anmutung ein ordnender Eingriff in die alte Struktur realisiert. Sinnlich präzise Arbeiten

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